Kontrafunk aktuell vom 25. November 2024
Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, ordnet die neuesten Entwicklungen im Ukraine-Krieg ein. Mit dem Dresdner Architekten Rocco Burggraf unterhalten wir uns über den Einsturz der Carolabrücke und den allgemeinen Zustand von Brücken in Deutschland. Der österreichische Journalist Gerald Grosz bewertet für uns die Wahlergebnisse im österreichischen Bundesland Steiermark. Und Stefan Millius kommentiert die jüngste Volksinitiative in Zürich, die den sogenannten Genderstern verbannen wollte.
Hinweis
Unser Adventskalender ist eine Naturapotheke: In Zusammenarbeit mit der Freiburger Heilpflanzenschule stellen wir Ihnen an jedem Tag im Advent ein Gewächs aus dem Kräutergarten vor. Die fünfminütigen Miniaturen werden am Ende der Sonntagsrunde bzw. am Ende von „Kontrafunk aktuell“ gesendet. Später kann man sie auch auf unserer Website nachlesen und noch vor Weihnachten als schönes Buch in unserem Shop kaufen (lieferbar ab 10. Dezember).
Harald Kujat: Aktuelle Entwicklungen im Ukraine-Krieg
Rocco Burggraf: Zustand deutscher Brücken
Gerald Grosz: Resultate der Steiermark-Wahl
Stefan Millius: Krieg der Sterne – Volksinitiative Zürich
Ganz verlässlich kann man es nicht sagen, aber es ist sehr wahrscheinlich: Die Stadt Zürich dürfte weltweit die erste gewesen sein, die über den Einsatz des sogenannten Gendersterns in der Behördensprache abstimmen ließ. Seit 2022 muss das städtische Personal in offiziellen Dokumenten geschlechtsneutrale Formulierungen einsetzen. Also entweder grammatikalisch kreuzfalsche Kunstwörter wie „Zufußgehende“ verwenden oder sich mit dem Genderstern zum selben Ergebnis tricksen. Eine Mehrheit der Zürcher Stimmberechtigten will nun, dass das auch so bleibt. Die städtische Volksinitiative mit dem markigen Namen „Tschüss Genderstern“, die dessen Einsatz in der Behördensprache untersagen wollte, scheiterte am Sonntag mit 58 Prozent Nein-Stimmen. Das ist zum einen ein demokratischer Entscheid, den es zu akzeptieren gilt. Aber zum anderen auch ein Ergebnis, das so wohl nur in Zürich möglich war. Denn landesweite Umfragen zeigen: Mehr als zwei Drittel der Schweizer wollen weder Gendersterne noch andere Unaussprechlichkeiten in Texten. Dass es in Zürich nun anders aussah, liegt daran, dass die Stadt politisch tief rot-grün ist und die Initiative von der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei SVP ausging. Das dürfte sogar Leute gegen die Vorlage getriggert haben, die dem Genderstern privat eigentlich überhaupt nichts abgewinnen können. Kurz gesagt: Richtige Mission, aber falscher Ort und falscher Absender.
Ein Ja zur Initiative hätte aufgrund ihrer Pionierhaftigkeit starke Signalwirkung gehabt. Man hätte vermutlich weltweit darüber diskutiert, dass da eine Stadt in der kleinen Schweiz der schleichenden Vergewaltigung der Sprache einen Riegel geschoben hat. Es wäre zwar natürlich nur auf lokaler Ebene, aber dennoch demokratisch verbrieft gewesen, dass Sprachverhunzung auch dann Sprachverhunzung ist, wenn eine offenbar unterbeschäftigte Stadtregierung findet, sie wolle bitte alle Tasten auf der Tastatur gleichermaßen auslasten. Dieser symbolische Sieg des gesunden Menschenverstands blieb leider aus. Aber darüber hinaus ist im Grunde nichts weiter passiert. Die Stadt Zürich darf weiter sprachliche Monstrositäten verbreiten, was halb so schlimm ist, weil kein Mensch Behördentexte liest, wenn er nicht unbedingt muss. Die meisten Bürger werden aber weiterhin gar nicht daran denken, Weihnachtssterne über ihre private Kommunikation zu schütten. Denn das Abstimmungsergebnis darf nicht darüber hinwegtäuschen: Das künstliche Konstrukt einer woken Sprachpolizei ist nie beim Volk angekommen und wird das auch nie tun. Sprache ist zwar in der Tat ein lebender Organismus, der sich laufend entwickelt. Aber das tut er auf natürliche Weise und nicht per gesetzlicher Verordnung. Oder weil Leute, die morgens nicht wissen, welches Geschlecht sie gerade haben, Goethe und Schiller eins verpassen wollen.
Mit etwas Galgenhumor erkennt man zudem die zarte Ironie in der Angelegenheit. Schweizer Behörden sind seit einigen Jahren dazu angehalten, ihre Kommunikation auch in sogenannter Leichter Sprache zu veröffentlichen, also möglichst reduziert, kurz und frei von Fremdwörtern und komplizierten Wendungen. Damit soll fremdsprachigen oder leseschwachen Leuten das Leben erleichtert werden. Eine gute Sache. Aber parallel dazu serviert man dem Normalverbraucher nun weiterhin entweder eine unübersichtliche Sterneorgie oder so herrliche Zungenverdreher wie „Rentenempfangende“ und „Fahrradfahrende“. Ich denke, ich wechsele auch bald zu dieser leichten Sprache. Jedes Unternehmen, das sich so verhalten würde, würde ertrinken in negativen Reaktionen der Kundschaft. Aber der Staat hat ein Monopol. Schließlich gibt es weder beim Steueramt noch bei der Baubewilligungsbehörde noch beim Straßenverkehrsamt eine private Konkurrenz, zu der man wechseln könnte. Deshalb kann uns die Stadt Zürich auch weiterhin Sterne vor den Latz knallen, und die Zürcher bleiben Kunden. Notgedrungen. Nur so lässt sich zum Himmelskörper gewordener Unsinn problemlos beibehalten. Ich erlaube mir persönlich, abseits der Entscheidung in Zürich, den Stern weiterhin nur für weiterführende Verweise in einem Text einzusetzen. Oder allenfalls bei einem Emoji. Damit lässt sich nämlich ein Küsschen darstellen. Ein solches Küsschen geht heute an die Regierung der Stadt Zürich. Verbunden mit herzlichen Grüßen und dem Hinweis, dass sich in der Geschichte der Menschheit die nackte Vernunft noch nie von einer städtischen Verordnung hat aufhalten lassen. Jedenfalls nicht nachhaltig. Gescheiterte Initiative hin oder her: Dieser Stern wird früher oder später zur Sternschnuppe werden. Genau wie jede andere Verirrung des Zeitgeists.