Das Radio des gesunden Menschenverstands
Erstausstrahlung: Sonntag, 5. Februar 2023, 6:05 Uhr
Wiederholungen: 11:05, 15:05, 17:05

Der Schlachthof: Innenansichten einer abgeschotteten Industrie – Ein Vortrag von Friedrich Pohlmann

Wie ist die eigenartige Industrie des modernen Schlachthofs entstanden? Ist ihre strikte Separierung von allen „normalen“ Lebens- und Arbeitssphären und die Unkenntnis hinsichtlich ihrer inneren Organisation eine der Grundbedingungen für moderne Gewohnheiten des Fleischverzehrs? Der Einblick in die Innensphäre des Schlachthofs legt auch die These nahe, dass die hochgradige Parzellierung der Arbeitsabläufe dort nicht nur einem Kalkül betriebswirtschaftlicher Effizienz geschuldet ist, sondern auch eine hintergründige sozialpsychologische Funktion hat, die das massenhafte Töten erleichtert.  

  • Der Schlachthof: Innenansichten einer abgeschotteten Industrie – Ein Vortrag von Friedrich Pohlmann (Transkript)

    Friedrich Pohlmann

    Der Schlachthof

    Innenansichten einer abgeschotteten Industrie

     

    Dass ehemalige Schlachthöfe in größeren Städten eine neue Nutzung als Kulturzentren erfahren, ist keineswegs selten. Interesse verdient dabei aber, dass die neue Nutzung mit der alten sprachlich zumeist verbunden wird. „Zum alten Schlachthof“ heisst dann die Örtlichkeit, in der sich Angehörige der jüngeren Generation zu diversen Veranstaltungen treffen. Für Verabredungen nehmen sie die Benennung gerne in den Mund, wohl des mitschwingenden hintergründig-ironischen Kitzels wegen, den die seltsame Verknüpfung des Wortes „Kultur“ mit dem Phänomen des Schlachtens auslöst. In den Genuss einer Adelung durch den Kulturbegriff kommt bei uns freilich nur der frühere Schlachthof, seine für Events der Jugendkultur umgerüstete architektonische Hülle. Hingegen ist die Verwendung des Etikettes für jenen Betrieb, in dem die dem Sinne des Wortes „Schlachthof“ entsprechende Tätigkeit realiter ausgeübt wird, ungewöhnlich. In einer Zeit der wundersamen Entdeckung immer neuer Kulturen sind uns zwar die Augen für die Besonderheiten von „Kneipen“-, „Aktien“-,  „Willkommens“ - und „Bratwurstkulturen“  geöffnet worden, aber trotz unserer Einblicke in das Wesen der letzteren sind doch die Chancen, dass wir auch im Schlachthof einen Kulturträger zu erkennen vermögen, minimal. Denn der Normalmensch meidet das Sprechen über die Stätte, von dem seine fleischliche Nahrung stammt, und er scheut sogar vor unzweideutigen Benennungen ihrer Ingredienzien zurück. Man nennt die Blutwurst lieber „Rotwurst“ und erzählt Kindern nicht, woraus sie gemacht ist und verniedlicht, jedenfalls in Baden, die Leber zu „Leberle“. Das ist anders bei den Vegetariern und Tierschützern mit missionarischem Ehrgeiz. Sie ergehen sich, obwohl ihnen fast immer eine genauere Kenntnis der Eigentümlichkeiten des industriellen Schlachtens fehlt, in breiten Schilderungen dessen, was sie – und wohl die meisten Menschen – am stärksten abstößt, in der illusorischen Hoffnung, dadurch eine Bekehrung ihrer fleischliebenden Mitmenschen zur Ernährungsweise und Weltanschauung der Vegetarier zu erreichen. Ich möchte hier gleich betonen, dass mir ein derartiger Impuls ganz fern liegt. Allerdings halte ich das Töten und Verspeisen der Tiere – und gerade das industrialisierte Massentöten im modernen Schlachthof – auch nicht für eine Selbstverständlichkeit, über die man emotionsfrei hinweggehen könnte. Viele Menschen haben, mehr oder minder stark ausgeprägt, ähnliche Vorbehalte, und gerade deswegen war ich vor kurzem auch erstaunt, als ich in einer bekannten Kindererzählung Astrid Lindgrens, der Erzählung „Madita“, die Schilderung einer Schweineschlachtung und die darauf folgende Zubereitung einer „Blutsuppe“ fand.  In einer fast wollüstigen Anteilnahme wird dort das Verrühren des Blutes beschrieben, und man spürt förmlich, wie der vorgestellte Anblick und vor allem Geruch des Blutes Astrid Lindgren das Wasser im Munde zusammenlaufen lässt. Aus der emotionalen Sperre, die man beim Vorlesen dieser Stelle empfindet, sollte man aber nicht schließen, dass einem selbst eine Sensibilität eignete, die den Dorfmenschen Astrid Lindgrens in der Mitte des letzten Jahrhunderts noch fehlte. Jedes Kind reagierte auf das Erlebnis einer Schlachtung zunächst mit gebannter anteilnehmender Verstörung, aber das Schlachten im Dorf war ein mehr oder weniger alltäglicher sichtbarer Akt, der für Kinder bald seinen irritierenden Stachel verlor, und das Töten eines einzelnen Tieres hat einen sehr anderen Charakter als das industrialisierte Massenschlachten in modernen Schlachthöfen. Die anfängliche Verstörung des Kindes kann aber als eines von vielen Indizien für die Annahme gedeutet werden, dass die außerordentliche Vielfalt soziokultueller Formbarkeiten der Psyche des Menschen als einer fleischessenden Spezies keineswegs die Existenz einer Disposition ausschließt, die in allen Kulturen den Fleischverzehr mit dem Vorbehalt von Dissonanzen belastet, die dann ihrerseits kultureller Arrangements zu ihrer Auflösung bedürfen. Die Überwindung einer Hemmung ist selbst ein integraler Bestandteil des Wunsches nach dem Fleische, und der Vegetarismus nur die Variante einer anthropologischen Anlage, in der die Hemmung zu einem Hindernis ausgebaut wurde, dessen Übersteigung ein selbstgesetztes Verbot, ein individueller Wille zum „Nein“ untersagt. Diese Hemmung, so die Vermutung, ist keineswegs nur ein Produkt unseres Bewusstseins und unserer Vorstellungskraft, die – qua Mitgefühl mit dem Tier – uns manchmal ganz gegen unseren eigenen Willen auch beim wohlschmeckendsten Essen heimsucht, sondern sie ist mit sinnlichen Reaktionsweisen ganz unterhalb der Bewusstseinsschwelle durchsetzt. Eine eigene Erfahrung möge dem Evidenz verleihen. Wie jedes Kind so bekam auch ich bei Besuchen im Metzgerladen von wohlmeinenden Verkäuferinnen das obligatorische Stückchen Fleischwurst aufgedrängt, das auch mir sehr schmeckte. Aber einmal, mit etwa fünf Jahren, stand ich direkt vor diesem Metzgerladen, auf einem Fußgitter, unterhalb dessen sich irgendein Verarbeitungsraum dieser Metzgerei befand, und von dort unten stieg ein vieldeutiger Geruch – wohl eine Mixtur aus Fleisch und Blut - auf, der sehr bald Ekelgefühle auslöste. Mein Wohlgefallen an der Fleischwurst, von der ich freilich noch nicht ahnte, dass sie tierischen Ursprungs ist, hat das in keiner Weise beeinträchtigt, aber seitdem meide ich, bis zum heutigen Tage, den Besuch von Metzgerläden, des Geruches wegen. Jedenfalls ist die in den Fleischgenuss eingebaute  Hemmung bei mir ihrem Ursprunge nach das Produkt einer vollkommen unreflektierten Sinneswahrnehmung, die erst viel stärker durch Leistungen der Vorstellungskraft ergänzt und verstärkt wurde. Aus der ethnologischen Forschung kennen wir viele Beispiele für derartige Hemmungen. Da gibt es Naturvölker, die sich beim erlegten Wild für dessen Tötung und Verzehr rituell entschuldigen, was so weit gehen kann, dass man das Tier als Gast bei seinem eigenen Mahl behandelt. Bei manchen sibirischen Völkern ehrt man den Bär bei seiner  Verspeisung, indem man ihm die besten Stücke seines eigenen Leibes vorsetzt, wohl in der magischen Hoffnung, er würde  auferstehen und sich wieder jagen lassen. In einem alten brahmanischen Opfertraktat der Inder findet die Hemmung ihren Ausdruck als eine unheimliche existenzielle Drohung, in der Phantasie einer Umkehrung des Verhältnisses zwischen Mensch und getötetem Tier. Dort heißt es: „Ganz ebenso, wie in dieser Welt Menschen Tiere essen und sie verspeisen, geradeso essen die Tiere in jener Welt die Menschen und verspeisen sie“. In diesem Mythos lebt die Seele des Tieres nach dessen Tötung fort und wird im Jenseits zu einem Menschen. Dieser wartet geduldig auf den Tod seines Verzehrers. Sobald er stirbt und im Jenseits ankommt, kehrt sich die ursprüngliche Situation in ihr Gegenteil um. Das Opfer findet seinen Verzehrer, packt ihn, zerschneidet ihn und isst ihn auf. Elias Canetti, der diesen Mythos berichtet, glaubt sogar, dass die Phantasie der Umkehrung des Tötens und Essens den Sinn des Sanskritwortes für Fleisch, das mamsa lautet, erklärt: „mam“ heisst „mich“, „sa“ heisst „er“, „mamsa“ bedeute demnach „mich-er“, „mich“ wird „er“ dort im Jenseits verzehren, dessen Fleisch ich hier gegessen habe – darin bestehe der wahre Sinn des Wortes Fleisch. Eine Welt scheint den modernen Menschen von derartigen metaphysischen Skrupeln zu trennen. Der Verzehr von Fleisch ist bei uns, auch wegen seiner drastischen Verbilligung, kontinuierlich gestiegen – er liegt in Deutschland jährlich bei knapp 90 kg pro Kopf und in den USA sogar bei über 120 kg -, und die Befriedigung einer derartigen Nachfrage ist ohne die Methoden der modernen Massentierhaltung und industrialisierten Schlachtung, die zu Recht immer wieder von Tierschützern und Vegetariern ethisch angeprangert werden, gar nicht denkbar. Aber gerade der moderne Schlachthof oder besser: sein Status im Alltagsbewusstsein macht erahnbar, dass auch dem mythenfreien Normalmenschen unserer Gesellschaft die in den Wunsch nach dem Fleisch eingewirkte Hemmung keineswegs fehlt. Denn unser Verhältnis zum Schlachthof ist von Verdrängungen, Verhüllungen und Distanzierungen - technischer, topographischer, sozialer und sprachlicher Art – bestimmt, die alle darauf hinauslaufen, unsere Vorstellungskraft so zu beschneiden, dass der Schlachthof an den Rand unseres Bewusstseins gedrängt wird, dass er zu einem nebulösen Nicht-Ort wird, einem abstrakten Etwas im Irgendwo. Wir wissen zwar, dass das Steak, das wir essen, vom Rind stammt – es heißt ja auch so – aber wir sollen und wollen nicht wissen, wie die Verwandlung des Rindes in ein Stück Fleisch, dem man seine Herkunft nicht mehr ansieht,  genau vor sich ging. Selbst in der Wissenschaft gibt es kaum Untersuchungen über den Schlachthof, obwohl diese Industrie gerade unter arbeitssoziologischen Gesichtspunkten ein großes Interesse verdiente. Wer über den Schlachthof spricht, rührt an gewollten Bewusstseinsbarrieren und provoziert deshalb Abwehrreaktionen; er aktiviert anthropologische Hemmungen, die uns möglicherweise nicht nur den Appetit verderben, sondern auch das gute Gewissen nehmen. Der Mensch ist zwar das Neugierdewesen par excellence, aber vom Schlachthof - immerhin einer conditio sine qua non seiner modernen Existenz - will dieses Neugierdewesen selten Genaueres wissen. Zum Schlachthof halte man sich fern wie zu einem „Schiff, auf dem die Cholera ausgebrochen sei“, schrieb Georges Bataille über das Verhältnis seiner Zeitgenossen zu den „Abattoirs“ in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts.

    Wir wollen, durch diese Reflektion vorbereitet, uns nun dieser gewöhnlich gemiedenen Industriestätte, schrittweise nähern, um schließlich aus der Beobachtung der Strukturen seiner Innensphäre genauere Einsichten über uns selbst zu gewinnen. Dabei aber muss gleich zu Anfang hervorgehoben werden, dass diese Annäherung nicht nur deswegen schwierig ist, weil wir dabei selbsterrichtete Bewusstseinsbarrieren zur Seite räumen müssen; sie ist auch realiter schwierig, denn der Schlachthof verbirgt sich bewusst, er versteckt sich durch vielerlei Vorrichtungen, er tarnt selbst seine Existenz, womit er uns in unserem Wunsch nach Nichtwahrnehmung gewissermaßen rücksichtsvoll entgegenkommt. Wenn man aber, aus welchen Gründen auch immer, die Distanzen überwindet und einen Blick hinter die verbergenden Fassaden wünscht, dann gibt er sich abweisend und unterstreicht seine Abweisung mancherorts sogar noch mit Drohungen: Wer das Innere eines deutschen Schlachthofes – und sei es aus rein wissenschaftlichen Interessen – in Augenschein nehmen möchte, wird gewöhnlich – und gewöhnlich freundlich – unter Vorwänden abgewiesen, aber in den USA gibt es sogar Staaten, die demjenigen mit fühlbaren Strafen drohen, der ohne Einwilligung der Eigner über das berichtet, was im Schlachthof geschieht. In der Geschichte des industrialisierten Schlachtens seit seinen Anfängen in der Mitte des 19. Jahrhunderts hat sich die Selbstabschottung des Schlachthofs beständig verstärkt, und sie wurde komplettiert durch eine zunehmende Verfeinerung auch der Methoden der Verhüllung dessen, was er produziert, des Fleisches: ganze Schweinsköpfe und imposante Rinderhälften sind aus unseren Metzgerläden verschwunden, Fleisch präsentiert sich dem Kundenblick gewöhnlich nur noch in kleinstzerlegten Einheiten und im Supermarkt zusätzlich in einer schon im Schlachthof  vorgenommenen Plastikverpackung, die dem Auge nichts mehr über seine Herkunft vom Tier und über die Schlachtung als Grundbedingung seiner Gewinnung verrät. Man kann, wie Norbert Elias in seiner mittlerweile klassischen Untersuchung über den „Prozess der Zivilisation“ die Entfaltung und Ausdifferenzierung derartiger Techniken des Verbergens und Verhüllens des als anstößig Empfundenen, zu denen natürlich auch der Bereich sprachlicher Benennungen und Tabuierungen gehört, als ein Grundmerkmal der „Zivilisierung“ des psychosozialen Habitus des Menschen deuten, sollte dabei aber nicht übersehen, dass die zunehmende Empfindlichkeit bezüglich unserer fleischlichen Nahrung das Ergebnis soziokultureller Formungen ist, die auf einer anthropologischen Disposition aufbauen. Aber es liegt nun auf der Hand, dass eine Untersuchung des Schlachthofes auch ganz wesentlich eine Untersuchung der vielfältigen Techniken der Verhüllung dessen sein muss, was den Kern seiner Wirklichkeit bezeichnet.

     

    Beginnen wir mit einigen historischen Bemerkungen zur Geschichte des Schlachtens und des Schlachthofes. Zunächst ein ganz grundsätzlicher Hinweis. Es bedarf keiner großen Phantasie, um sich auszumalen, dass das Schlachten ein blutiger Vorgang ist. Den wenigsten ist aber gewärtig, dass das keineswegs nur handwerklich-technische Gründe hat, sondern auch in magisch-rituellen Phantasien und in spezifischen Ernährungsgewohnheiten wurzelt, die um das Verhältnis des Menschen zum Blut des Tieres kreisen. Dass das Schlachten – auch im modernen Schlachthof – ein Abstechen des Tieres ist, dem unmittelbar das Ausbluten folgt – dieses ist bekanntlich bei Juden und Muslimen durch besondere Ritualvorschriften reguliert  und im modernen Schlachthof mittels bestimmter Geräte auf eine Zeiteinheit von ca. 20 Sekunden effizient reduziert -, ist keineswegs selbstverständlich. Die Griechen und Römer achteten darauf, dass das als kostbarer Saft hochgeschätzte Blut im Körper blieb und erwürgten deshalb die Tiere oder stießen ihnen einen glühenden Speer in den Leib, um das Ausbluten zu verhindern. Warum sich im Abendland dann der Verzehr ausgebluteten Fleisches durchgesetzt hat, ist nicht eindeutig geklärt – naheliegend ist die Vermutung der Übernahme des jüdischen Brauchs im Christentum -, aber es ist evident, dass bei einer Präferenz für die griechisch-römische Sitte der Schlachtprozess einen anderen technisch-organisatorischen Charakter angenommen hätte, bis in die Gegenwart hinein.  

    In den Fokus anstoßerregender Aufmerksamkeit traten Schlachthäuser zum erstenmal Ende des 18. Jahrhunderts, im Zuge eines wissenschaftlich forcierten zunehmenden Hygienebewusstseins. Dabei war es noch nicht einmal in erster Linie der Anblick des Blutes, das von den Innenhöfen der Metzger auf die Straßen hinausrann und dort die Pflastersteine mit einer bräunlichen Glasur überzog, dem man sich zu entziehen wünschte, sondern es waren, wie Alain Corbin in seiner Kulturgeschichte des Geruchs beschreibt, zuvörderst die sich von dort ausbreitenden stinkenden Dämpfe, die man als Überträger von Krankheitskeimen imaginierte. Beginnend mit Napoleonischen Dekreten von 1807, wurden dann in Frankreich und Belgien in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts Schlachthäuser zu zentralisierten öffentlichen Einrichtungen, die man außerhalb der damaligen Stadtmauern verlagerte und hygienisch stärker zu kontrollieren begann. Historisch war also die erste Technik der Distanzgewinnung zum Schlachthaus dessen Auslagerung an die städtische Peripherie, und da dabei die Geruchswahrnehmung eine zentrale Rolle spielte, wollen wir kurz bei diesem Thema – den Reaktionen auf den spezifischen Geruch des Schlachthofes – verweilen. Ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde Chicago zum Zentrum der amerikanischen Fleischindustrie, mit riesigen mechanisierten Schlachthäusern, die als „Packingtown“ oder „Union Stock Yards“ eine eigene Stadt am Rande der Stadt bildeten. Hier spielt der berühmteste Schlachthofroman der Literaturgeschichte, Upton Sinclairs „The Jungle“, der Bertold Brecht zu seiner „Heiligen Johanna der Schlachthöfe“ inspiriert hat. Sinclairs Schilderungen der inneren Wirklichkeit von „Packingtown“ haben den Charakter einer gut recherchierten Sozialreportage, und einen hohen Grad von Authentizität darf auch seine Beschreibung der Reaktionen der Hauptprotagonisten des Romans bei ihrer ersten Annäherung an „Packingtown“ beanspruchen: „Zusammen mit dem dichter werdenden Rauch machte sich noch etwas anderes bemerkbar: ein seltsamer, durchdringender Geruch. Sie wussten nicht recht, ob sie ihn als unangenehm empfanden; mancher hätte ihn vielleicht als widerlich bezeichnet, … (ihre) Meinungen gingen auseinander. Es war ein elementarer, uriger, unkünstlicher Geruch, stark und streng, fast ranzig. Manche sogen ihn ein wie etwas Berauschendes, andere pressten sich ein Taschentuch vor die Nase …“ Außer dem eigenartigen Geruch machte aber auch anderes – zum Beispiel das riesige Areal der offenen Viehverschläge – für jeden, der sich um 1900 Packingtown näherte, unzweideutig erkenntlich, dass er hier in die Welt des Schlachthofes eindrang. Bei den Schlachthausgiganten der Gegenwart ist der irritierende streng-faulige Geruch – allerdings in deutlich geringerer Intensität als damals in Chicago - der einzige Indikator für die ungewöhnliche Industrie geblieben, die sich hinter den ansonsten unauffälligen Gebäudefassaden verbirgt, aber den  typischen deutschen Schlachthöfen, die nur eine mittlere Größe haben, fehlt selbst ein auffallender Außengeruch völlig. Ihre architektonische Neutralität, die Ununterscheidbarkeit von den Gebäuden ihrer Umgebung, die Assoziationen an Prozesse bewusster Mimikry entstehen lassen, machen sie zu keinem besonderen Attraktor von Aufmerksamkeit.

    Der industrialisierte Großschlachthof ist eine amerikanische Erfindung. Sie vollzog sich in mehreren Schritten, an deren Beginn die Installation des Fließbandes in den Schlachthöfen von Cincinatti in der Mitte des 19.Jahrhunderts stand. Hier wurden, um die Massen getöteter Tierleiber immer zeitintensiver bearbeiten zu können, diese an einer endlosen Kette und Laufschienen aufgehängt und in exakt vorgegebenen Zeiteinheiten an einer Reihe nebeneinander stehender Detailarbeiter vorbeigeführt, die sie in jeweils monoton-gleichförmigen, bis ins kleinste fragmentierten Tätigkeitsschritten bearbeiteten. Die Entdeckung des Fließbandprinzips hat ihren Urprung im Schlachthof und ist sein bedeutendster Beitrag in der Geschichte der Industrialisierung. Die Potenzen dieses Prinzips wurden dann später in der Autoindustrie weiterentwickelt, und in der Gegenwart ist die Technologie des Fließbandes einer der Kerne der vollautomatisierten Fabrik, eines Produktionstypus, mit dem verglichen freilich auch der modernste Schlachthof der Gegenwart wie ein archaisches Relikt aus einer längst vergangenen Ära der Industrie anmutet. Denn im Gegensatz zu anderen Industrien sind im Schlachthof die Tätigkeitsfragmente der Detailarbeiter am Band, trotz ihrer monotonen Gleichförmigkeit, ihrerseits nur in Maßen durch Maschinen ersetzbar, und dieses weit geringere Mechanisierungspotential des Schlachthofes hat seinen einfachen Grund in der Besonderheit seines Arbeitsgegenstandes: Tiere können, als willentlich begabte Wesen, ihrer Tötung Widerstand entgegensetzen; und sie sind, nach der Tötung, ein organisches Material, das sich von der Gleichförmigkeit der anorganischen Materie qualitativ unterscheidet. Die maschinelle Enthäutung eines Rindes beispielsweise ist erst nach einer Vielzahl vorbereitender manuell per Messer ausgeführter Einschnitte möglich, die in Anpassung an dessen jeweils unterschiedlich gestalteten Körper von Rind zu Rind minimal differieren. Das ist der Hauptgrund dafür, dass die Grundstruktur eines modernen Schlachthofes noch stark derjenigen der Chicagoer Schlachthöfe um die Wende zum zwanzigsten Jahrhundert ähnelt, die Upton Sinclair in seinem Roman beschreibt. Chicago wurde ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zum Zentrum der amerikanischen Fleischindustrie und kann als „Geburtsort“ des modernen industrialisierten Großschlachthofes gelten. Zwei Grundbedingungen seiner Entstehung sollten besonders hervorgehoben werden, eine technische und eine kulturelle. Die Existenz des industrialisierten Schlachthofes ist, erstens, ohne die Erfindung besonderer Kühltechniken undenkbar, die das Fleisch vor dem schnellen Verderben bewahren. Ein zentraler Bestandteil jedes Großschlachthofes ist das Kühlhaus, in dem die getöteten und halbierten Tierleiber, in ganz engen, exakt gleichen Abständen in endlosen Alleen zu Tausenden vor ihrer Weiterverarbeitung aufgehängt sind. Die gigantischen Ausmaße der Chicagoer Schlachtfabriken, die nicht nur einen Großteil des ganzen amerikanischen Marktes versorgten, sondern auch zunehmend in die europäischen eindrangen, hingen freilich von einer differenzierten Anwendbarkeit der neuen Kühltechniken ab: Damit das Fleisch auf lange Reisen geschickt werden konnte, mussten die Transportmittel selbst – Eisenbahnwagen und Schiff – in mobile Kühlanlagen verwandelt werden, was erst nach einer längeren Experimentierphase und riesigen Investitonen durch die drei Chicagoer Fleischkönige Armour, Swift und Morris, die mehr und mehr als ein Kartell agierten, möglich wurde. Die Erfindung spezieller Blechdosen, die man mit einem abgekochten Fleischbrei, dem oft aus minderwertigem Fleisch bestehenden sog. „corned beef“ abfüllte, bezeichnet eine weitere Technik, mit der Fleisch haltbar und mobil gemacht werden konnte. Man darf aber eine spezifisch amerikanische kulturelle Komponente bei der Entstehung des industrialisierten Massenschlachtens nicht übersehen. Das Verhältnis zum Tier, zum Schlachtvieh, war in Amerika anders als in Europa, was ein Vergleich des größten europäischen Schlachthofs aus dieser Zeit mit den amerikanischen verdeutlicht. Der größte europäische Schlachthof war Ende der 1860iger Jahre im Zuge der berühmten Umgestaltung von Paris im zweiten Kaiserreich durch Georges Haussmann entstanden. Ein Zentralschlachthaus, dasjenige von La Villette, an der äußersten Grenze des Pariser Festungsgürtels errichtet, sollte hier erstmals eine Millionenbevölkerung versorgen. Aber diese große, auch architektonisch-ästhetisch imposante zentralisierte Schlachtanlage war in ihrem Inneren noch vollständig handwerklich strukturiert, der Schlachtprozess war nicht als eine Massenabfertigung von – schon vor ihrer Tötung – als unterschiedslos angesehenen Tierleibern organisiert, sondern das Schlachten eines Ochsen beispielsweise hatte den Charakter des Schlachtens eines vom Bauern unter Mühen aufgezogenen individuellen Tieres, dem man in La Villette einen eigenen Verschlag unter dem Dache des Schlachthauses selbst zuteilte, in dem es getötet wurde. Die Erfindung des mechanisierten Massenschlachtens per Fließband in Amerika hingegen steht in einem inneren Zusammenhang mit der Tatsache, dass dort – zumal in den großen Ebenen jenseits des Mississipi – die Tiere auf freien Grasflächen fast ohne Pflege aufwuchsen, also schon vor ihrer Tötung primär als „Masse“, als „lebendes Fleisch“ gewissermaßen, verstanden und behandelt wurden. Als solche wurden sie dann in Chikago aus dem Areal offener Verschläge in die Schlachtfabrik getrieben. In der Gegenwart bildet die rationalisierte Massenaufzucht der Tiere in entsprechenden Betrieben unter Bedingungen ihrer Quasi-Bewegungslosigkeit die logische Vorbereitung und Ergänzung zum mechanisierten Massenschlachten.                                             

    Für jeden marktorientierten, unter modernen Produktivitäts- und Effizienzprinzipien organisierten Produktionsprozess gelten zwei Grundmaximen: das Prinzip maximaler Verwertung des Arbeitsgegenstandes, d.h. die Verwandlung eines Rohmaterials in eine immer differenzierter werdende Palette marktgängiger Endprodukte, unter tunlichster Vermeidung jeglichen „Abfalls“; und zweitens das beständige Bestreben nach Erhöhung des Produktionsaustoßes durch Verkleinerung der Zeiteinheiten bei den dabei notwendigen Einzeloperationen. In beiderlei Hinsicht entwickelte der menschliche Verstand seit der Entstehungsgeschichte des industrialisierten Schlachtens bis in die Gegenwart eine  ingeniöse

    Erfindungs- und Entdeckungsfähigkeit: Während in Cincinatti die Produktion noch mit großen Mengen von „Ausschuss“ verbunden war – man warf viele Teile der getöteten Tiere als nicht verwertungsfähig achtlos in den Ohio -, wurde das Schlachten in Chicago schon als ein Ausschlachten betrieben, bei dem vom Schwein einzig – ich zitiere den von Upton Sinclair in seinem Roman aufgegriffenen joke, der seinerzeit dort kursierte – „das Quieken unverwertet“ blieb. Und in der Gegenwart beziehen Schlachthöfe ca. 40 Prozent ihrer Einnahmen aus Tierbestandteilen, die uns nicht als Fleisch, sondern beispielsweise als Ingredienzien pharmazeutischer Produkte, von Rasiercreme oder Gummibärchen erreichen. Für das zweite Prinzip, das Bestreben nach Erhöhung des Produktionsausstoßes durch immer effizientere Nutzung der Zeit, bezeichnet natürlich das Fließband selbst, das am Anfang des industrialisierten Schlachtens stand, das zentrale Symbol. Nun sind in Industrien mit dem Fließband als Kern des Produktionsprozesses Produktivitätserhöhungen nur durch dreierlei möglich: Erstens durch Maßnahmen zur Sicherstellung eines möglichst kontinuierlichen Flusses des Bandes selbst, also durch Ausschaltung aller Hemmnisse und Friktionen, die diesen behindern; zweitens durch maximale Nutzung des Prinzips prozessualer Arbeitsteilung, die Zerlegung des Arbeitsprozesses in möglichst kleine, Detailarbeitern im unmittelbaren Nacheinander zugewiesenen Arbeitseinheiten; und drittens durch die Integration von Maschinen in den Prozess, mit dem Ziel, die Arbeitsleistungen möglichst vieler Detailarbeiter zu ersetzen. Ein Fließband, das nur noch von Maschinen bedient wird, wie wir es aus Fertigungsstraßen der Autoindustrie kennen, stellt einen vollautomatischen Produktionsprozess dar. Nun sind aber im Schlachthof aus Gründen, die in der Natur seines besonderen „Arbeitsgegenstandes“ liegen, die Maschinisierungsmöglichkeiten der Produktion begrenzt, und es ist auch nicht möglich, einen vollständig kontinuierlichen Fluss des Bandes zu erreichen. Zumal am Beginn der Produktionskette kam und kommt es immer wieder zu Friktionen: Beim industrialisierten Rinderschlachten in heutigen Großschlachthöfen, in denen der kontinuierliche Produktionsfluss eine Tötung der Rinder im Abstand von ca. 12 Sekunden erfordert, kommt es immer wieder vor, dass der Bolzenschuss – bzw. früher der Schlag mit einem Vorschlaghammer - dem Tiere noch nicht vollständig das Bewusstsein raubt, so dass es sich nicht widerstanslos an der mit dem Laufband verbundenen Kette aufhängen lässt, was eine unmittelbare Stockung des Bandes zur Folge hat. Auch der Eigensinn der Schweine bereitete dem Menschen beim industrialisierten Schweineschlachten im 19. Jahrhundert, das ohne Betäubung praktiziert wurde, längere Zeit Probleme, bis man auf die Idee kam, die Tiere mittels eines speziellen „Lockschweines“ am Anfang der Kette zu überlisten. Aufgrund der durch die organische Natur seines Arbeitsgegenstandes begrenzten Maschinisierungsmöglichkeiten basiert auch die maschinelle Ausstattung heutiger Großschlachthöfe im wesentlichen nur auf einer Perfektionierung jener Maschinen, die bereits im 19. Jahrhundert erfunden wurden. Das sind zunächst die großen Maschinen, die seine technische Grundstruktur vorgeben – die Fließbänder und Kühlmaschinen – zu denen sich dann an bestimmten Stellen des Produktionsprozesses kleine Maschinen – im wesentlichen solche zur Forcierung des Ausblutens, zur Entfernung der Borsten und Häute und zum Waschen der Kadaverteile - hinzugesellen. Der Hauptfaktor aber ist die menschliche Arbeitskraft geblieben, und die enorme Produktivität der von Upton Sinclair beschriebenen Schlachtstadt „Packingtown“ und unserer Schlachthöfe ist vornehmlich eine Folge der virtuosen Ausnutzung des arbeitsorganisatorischen Prinzips prozessualer Arbeitsteilung. Karl Marx hat in seiner Analyse der Manufaktur in seinem Hauptwerk, dem „Kapital“, in Anknüpfung an das berühmte Beispiel der Herstellung von Stecknadeln bei Adam Smith die bis heute genaueste Analyse dieses Prinzips vorgelegt, aber interessanterweise taucht weder bei ihm noch in gängigen arbeitssoziologischen Texten der Gegenwart der Schlachthof als jene Produktionsstätte auf, in der die Potenzen dieses Prinzips am weitestgehenden entwickelt und genutzt worden sind. Upton Sinclairs Beschreibung von 1906 trifft genauso auf die Schlachthofwirklichkeit von heute zu: „Wenn man den ganzen Raum überblickte, dann sah man die ganze Reihe von baumelnden Schweinen sich langsam vorwärtsbewegen …, und alle paar Schritte waren Männer an der Arbeit, als sitze ihnen der Teufel im Nacken. Am Ende ihres Weges war jeder Zentimeter der Schweine mehr als einmal bearbeitet worden“. Dass uns der Schlachthof verglichen mit anderen Industrien wie eine gleichsam „archaische“ Industriestätte anmutet, hat seine Ursache nicht nur in seinem Produktionszweck – dem Schlachten von Tieren und ihrer Verarbeitung zu Fleisch -, sondern auch in seiner technisch-organisatorischen Produktionsstruktur, mit dem Vorrang des Prinzips prozessualer Arbeitsteilung vor der Maschine.

     

    Wir sind nun genügend vorbereitet, die Innensphäre moderner Großschlachthöfe genauer in Augenschein zu nehmen. Dabei soll es nicht um einen konkreten Betrieb gehen, sondern um die Herausarbeitung typischer Merkmale, die immer in einer doppelten Perspektive – arbeitssoziologisch und sozialpsychologisch – analysiert werden. Ich beziehe mich dabei auf Material, das jüngst in einer amerikanischen Studie von dem Autor Timothy Pachirat über einen auf die Schlachtung von Rindern spezialisierten Großbetrieb – ca. 2500 pro Tag - mit knapp tausend Beschäftigten publiziert wurde, Material, das in sukzessive konkreteren Schritten so durchleuchtet werden soll, das der Prozess, den man normalerweise als eine Zumutung an die Vorstellungskraft empfindet - die Verwandlung eines individuellen Rindes in das von uns begehrte homogenisierte Stückchen Fleisch - genauer verstanden und dadurch – vielleicht – erträglicher werden kann.

    Bei näherer Betrachtung der neutralen Außenfassade moderner Großschlachthöfe wird eine Aufgliederung in vier funktionell differenzierte Einheiten sichtbar: eine Büroeinheit; einen Produktionsbereich, aus dem die Endprodukte über eine Rampe auf die Reise zu den Verbrauchern geschickt werden; das Kühlhaus; und schließlich den Schlachtbereich, der in Amerika in brutaler Offenheit nach wie vor „killing floor“ genannt wird. Seine euphemistische Umtaufe in „harvesting department“ („Ernteabteilung“) in Lehrbüchern der Fleischindustrie hat sich in der Realität nicht durchgesetzt. Obwohl die Einheiten typischerweise in einem Gebäudekomplex miteinander verbunden sind, sind sie doch klar voneinander durch Wände getrennt, und die strikteste Separierung besteht zwischen dem Bürobereich und allen drei anderen Komplexen. Zwei architektonische Grundmerkmale sind ohne sozialpsychologische Annahmen nicht deutbar: Erstens der Gegensatz zwischen der durch Fenster und Verglasungen transparenten Außenfront des Bürobereichs und den fensterlosen Außenfronten der anderen Einheiten, die vollständig verbergen, was hinter ihnen geschieht; und zweitens das Faktum, dass zwischen dem Büro- und dem Schlachtbereich normalerweise die größte Distanz besteht und von den Bürofenstern noch nicht einmal die Einfahrt in den Schlachtbereich sichtbar ist, so dass auch innerhalb des gesamten Schlachthofareals eine architektonische Technik des Verbergens einen Mechanismus der psychischen Distanzierung ermöglicht. Wir würdigen jetzt den Bürobereich keiner weiteren Aufmerksamkeit und fassen als erstes nur die technische Innenausstattung der drei anderen Einheiten in einem flüchtigen Überblick ins Auge. Wir imaginieren die Einheiten als „leer“, das heißt wir denken die Arbeitskräfte aber auch die nach einem strikten geometrischen Ordnungsprinzip ausgerichteten Alleen aufgehängter Tierleiber im Kühlhaus  zunächst einmal weg. Einem solchen Zustand am nächsten ist der Schlachthof morgens, kurz vor Arbeitsbeginn. Dann haben die des Nachts tätigen Reinigungskommandos ihre Arbeit getan und das gesamte Schlachthaus in einen Zustand quasi klinisch perfekter Sauberkeit und Hygiene gebracht, dessen Einhaltung durch scharfe Kontrollen gesichert ist. Dass ihr Job nicht nur wegen der enormen Menge animalischer Überreste, die sie unter Einsatz ätzender Chemikalien entfernen müssen, höchst unangenehm, sondern zusätzlich deshalb gefährlich ist, weil sie sich dabei auch ins Innere von Maschinen begeben müssen, die ihrerseits des Nachts gewartet und repariert werden, sei nur am Rande erwähnt. Betreten wir als erstes den leeren Produktionsbereich. Wir nehmen eine Strukturierung des Raumes durch eine Reihe parallel angeordneter Fließbänder wahr, sogenannter „Tische“, an denen jeweils ca. fünfzig Arbeiter beschäftigt werden können – ein übersichtlich gegliederter Raum, der von jeder Position aus gut überblickbar ist. Anders als im Produktionsbereich ist die Raumstruktur des Kühlhauses nicht von unten, vom Boden aus determiniert, sondern „von oben“, der Decke, durch eine Vielzahl dort installierter Fließbänder mit einer riesigen Menge nach unten baumelnder Haken. Sie füllen in paralleler Ausrichtung den Raum in seiner Breitendimension und sind auf jeder Seite an zwei Hauptbänder angeschlossen, die der Längendimension des Raumes folgen und das Kühlhaus sowohl mit dem Produktions- als auch dem eigentlichen Schlachtbereich verbinden. Dessen Gliederung ist im Gegensatz zu den beiden anderen Einheiten nicht auf einen Blick übersehbar. Er ist in zwei Ebenen unterteilt, und alle zentralen Operationen des Schlachtprozesses finden im oberen Bereich statt. Dieser ist in diverse Einzelzonen untergliedert, durch Trennwände, die an bestimmten Stellen offengelassen sind. Sie gewähren einem großen, an der Decke installierten Fließband Durchlass, das seinerseits an bestimmten Stellen mit kleineren Decken-, aber auch Bodenfließbändern verbunden ist. Die Deckenbänder beschreiben Aufwärts- und Abwärtsbewegungen, so, dass an manchen Stellen die Nebenbänder über oder unter dem Hauptband entlang geleitet werden. Neben den Bändern sind diverse Maschinen, aber vor allem Podeste unterschiedlicher Höhe installiert, von denen aus die meisten Arbeitsoperationen im Schlachtbereich getätigt werden. Der Weg des  Hauptbandes, das sich am Ende seines Weges im Schlachtbereich absenkt und durch eine Öffnung in das Kühlhaus gelangt, weist viele, zumeist abrupte Richtungsänderungen auf, die  im Verbund mit den Trennwänden im Schlachtbereich dafür sorgen, dass für einen Beobachter, aber auch die Arbeitenden selbst, immer nur kleine Einheiten des Gesamtprozesses visuell überblickbar sind. Zumal das Tötungsgeschehen an seinem Beginn kann nur von einem kleinen Bruchteil wahrgenommen werden - die Techniken des Verbergens und Verhüllens pflanzen sich also gewissermaßen in zunehmend kleineren Aufspaltungen bis in den Kern der Schlachthofwirklichkeit fort.

    Nach diesem abstrakten Einblick in sein technisches Gerippe verschaffen wir uns mittels eines kurzen Ganges durch die drei Einheiten bei nunmehr laufendem Schlachthofbetrieb erste Impressionen der dortigen realen Arbeitswelt. Wir betreten wieder zunächst den Produktionsbereich, an dessen Fließbändern jetzt jeweils ca. 50 Arbeitskräfte in dichter Reihung tätig sind. Bekleidet mit Kopfbedeckungen und langen Gummischürzen, unter denen sie wegen der gleichmäßig niedrig gehaltenen Temperatur dicke Jacken und Hosen tragen,  sind ihre wichtigsten Arbeitsinstrumente Handmesser und metallische Krallen. Gegen Schnittverletzungen durch spezielle Vorrichtungen an den Ärmeln geschützt, verarbeiten sie in methodischer Präzision in raschen spezialistischen Detailoperationen die vom Kühlhaus hereingefahrenen Rinderhälften, die, obwohl ihres Kopfes, der Haut, der Hufe und inneren Organe beraubt, doch noch die Basiskonturen einst lebender Wesen aufweisen, zu jenen vollständig homogenisierten Stückchen Fleisch, die ihren tierischen Ursprung völlig vergessen lassen und so den Verbraucher erreichen. Der Prozess der Zerlegung des Arbeitsgegenstandes ist also zugleich ein solcher der Verhüllung seiner Herkunft. Die Arbeitsatmosphäre im Produktionsraum vermittelt Hygiene und eine gleichsam chirurgische Kontrolle, und der Geruch unterscheidet sich nicht vom bekannten der Metzgerläden. Die räumliche und arbeitstechnische Distanz des Produktions- zum eigentlichen Schlachtbereich bewirkt, dass die hier Beschäftigten sich typischerweise nicht als Glieder in der Gesamtkette des Schlachtprozesses definieren, sondern nur als Fleischverarbeiter. Natürlich bedarf es für den Besuch des Kühlhauses, dieses Zwischenreichs zwischen der Produktions- und Schlachtabteilung mit seiner Temperatur unter dem Gefrierpunkt, warmer Kleidung, und die dort beschäftigten Arbeitskräfte, die zum Schutz gegen Flüssigkeiten dicke Gummihandschuhe tragen, sind wegen der unangenehmen Temperaturen keinen intensiven Kontrollen ausgesetzt. Freilich wird der Blick des Besuchers gar nicht primär von ihrem Tun angezogen, man ist vielmehr überwältigt von der puren Masse dessen, was von den Deckenbändern herabhängt: die Parallelalleen von Rinderhälften samt abgetrennter Zungen und Schwänze sind schier unüberblickbar, und dazu gesellt sich noch der Eindruck der stetigen Prozession elefantenohrgroßer Lebern, die, unter Absonderung purpurner Rinnsale, sehr bald nach ihrer mittels eines speziellen Fließbandes bewerkstelligten Reise in den Kühlraum auf Karren umgehängt werden. Vor der Einfahrt der Rinderteile ins Kühlhaus liegt ihre Abfahrt vom höhergelegenen Schlachtbereich, und die Treppenstufen unter dieser Abfahrt, die morgens klinisch sauber sind, sind abends unter den Blutlachen und Fettteilen kaum mehr sichtbar. Ein Defilee von zwei Arbeitskräften empfängt die Rinderteile dann bei ihrer Einfahrt. Es achtet auf Einhaltung richtiger Abstände und wischt zwecks Vermeidung bakterieller Verunreinigungen das kondensierte Wasser von den Haken, das sich dort durch die Kollision der warm-feuchten Luft des Schlachtbereichs mit der frostigen Atmosphäre des Kühlhauses gebildet hat. Da wir den eigentlichen Schlachtbereich in seinen internen Gliederungen gleich einer genaueren Analyse unterziehen werden, begnügen wir uns, quasi zur Einstimmung, mit einer kurzen visuellen Impression aus seinem Mittelteil. Ich hatte bereits das Netz von Decken- und Bodenfließbändern erwähnt, das sich dort, von einem Hauptband abzweigend, befindet. Nun sind die Bänder in Betrieb, und sie offerieren dem Auge ein Schauspiel schier unglaublicher, surreal anmutender Bilder: Diverse Rinderteile, alle bereits enthäutet, der noch unzerteilte Körper, der Kopf, der Schwanz, die Innereien, die Leber werden, ihren Weg manchmal kreuzend, über- oder untereinander in verschiedene Richtungen gefahren, und an einer Stelle begegnet, unmittelbar nach seiner Durchfahrt durch eine Waschanlage, der noch nicht enthauptete Rindskadaver jenem Band, das die kurz danach abgetrennten Köpfe einer speziellen zerlegenden Behandlung zuführt. Da der Kopf und das Gesicht den eindeutigsten Bezug zum individuellen Leben aufweisen, bietet die Begegnung der endlosen Reihe separater Köpfe mit der endlosen Reihe der noch nicht ihrer Köpfe beraubten Kadaver das eindringlichste Bild von der Tötungskapazität eines modernen Großschlachthofes.

    Wir betrachten jetzt genauer die Abfolge der Tätigkeiten im Schlachtbereich und seine interne  Strukturierung durch einzelne Segmente. Hier gibt es weit über hundert prozessual miteinander verbundene Detailoperationen, von denen eine Vielzahl von mehreren Arbeitskräften, die Gleiches verrichten, besetzt werden. Die Aufteilung in Zonen läßt sich am besten durch eine Reihe von Gegensatzbegriffen erläutern. Da ist zunächst die aus Gründen der Nahrungssicherheit getroffene basale Unterscheidung zwischen dem sogenannten „schmutzigen“ und dem „sauberen“ Bereich mit ihren strikt voneinander getrennten Arbeitern.  Der „schmutzige“ Bereich ist jener, in dem alle Operationen von der Tötung bis zur maschinellen Enthäutung stattfinden, die weitere Zerlegung des Kadavers geschieht dann im „sauberen“, in den sie nach der Durchfahrt durch eine Waschanlage gelangen. Die Trennlinie zwischen beiden Bereichen bezeichnet zugleich in visuell-phänomenologischer Hinsicht den entscheidenden Punkt in der Transformation des Tieres zum Kadaver: Vor der Tötung in vielerlei Hinsicht verschieden, verlieren die getöteten Rinder auf ihrer letzten Station im „schmutzigen“ Bereich durch die Enthäutung gewissermaßen ihre animalische Individualität und verwandeln sich in eine endlose Reihe unterschiedsloser Kadaver, dem Rohmaterial für die homogenisierten Stücke Fleisch. Dass der Prozess dieser Verwandlung mit massiven Schmutzspuren – Blut, Kot, Gehirnmasse usw. – verbunden ist, verwundert nicht, was aber nicht heißt, dass der „saubere“ Bereich „sauber“ wäre. Er ist mit seinen den geöffneten Tierleibern entweichenden stinkenden warm-feuchten Dünsten vor allem eine Zumutung für die menschliche Nase, aber schier unerträglich selbst für den „normalen“ Schlachthofarbeiter ist der bestialische Gestank in jenen dort gelegenen Spezialräumen, in denen die Mägen geöffnet werden. Den Anfang des schmutzigen Bereichs bezeichnet natürlich die Tötungszone, deren Grenze nach innen eine am Gegensatzpaar „lebend/tot“ orientierte Aufteilung des Raumes konstituiert. Nachdem die Rinder in den Viehhof antransportiert und abgeladen worden sind – ein Vorgang, der von außen allerhöchstens hör- aber nicht sichtbar ist –, werden sie, in zahlenmäßig abgeteilten Gruppen, von speziellen Arbeitern in das Gebäudeinnere getrieben. Regeln, deren Einhaltung sporadische Kontrollen gewährleisten sollen, sollen dabei Tierquälerei ausschalten, aber Augenzeugen berichten, dass ein durch „cold jokes“ begleiteter übermäßiger Gebrauch von Elektrostäben dabei normaler Standard sei. Ich interpretiere das nicht als einen Ausdruck von Sadismus, sondern eher als habitualisierte Variante eines aus der Sozialpsychologie bei zwischenmenschlichen Gewaltprozessen bekannten Mechanismus: der Einsatz von Gewalt führt beim Täter oft zur Konstruktion spezieller erniedrigender Opferbilder, die wiederum eine Eskalation der Gewaltanwendung anheizen – entsprechend begünstigen im Schlachthof der übermäßige Einsatz des Elektrostabes und die „cold jokes“ schon vor der Schlachtung die Verwandlung der Tiere in eine „Masse“ „lebenden Fleisches“. Im Inneren gelangen die Rinder um einige Ecken schließlich aufwärts in eine sich verengende Serpentine, die in einen speziellen Verschlag führt, der nur einem Tier Platz bietet. Durch verstellbare Außenwände immobilisiert, wird es dort mittels einer bestimmten Verrichtung am Unterleib so in die Höhe gehoben, dass sein Kopf aus einer Öffnung herausschaut, wo er nun, sozusagen face-to-face, einem bestimmten Arbeiter konfrontiert ist, jenem, der das von der Decke herabhängende Bolzenschussgerät bedient und der in Amerika „knocker“ genannt wird. Dieser nimmt so Maß, dass der Bolzen genau zwischen den Augen des Rindes, dessen Schädel zertrümmernd, eindringt, in Großschlachthöfen in einer Frequenz von ca. 12 Sekunden pro Rind. Danach wird das Rind auf ein Fließband abgeladen, wo ein spezieller Arbeiter eine Kette an seinem linken Hinterbein befestigt. Nun wird es, dabei Körperreflexbewegungen ausführend, in die Höhe gehoben und vom Band zu zwei Arbeitspositionen, dem Vorstecher und Stecher, gefahren, die in eingespielter Kooperation die Halsschlagader öffnen, wonach das Tier sofort in das Ausblutungsareal gelangt, in dem es, durch spezielle elektrische Herzstimulatoren bearbeitet, ca. 20 Sekunden verweilt. Das Überfahren der Grenze dieses Areals bedeutet zugleich das Überfahren einer völlig eindeutigen Grenzmarkierung zwischen lebend und tot: Alle nun folgenden Arbeiten sind Detailarbeiten am toten Tier, die im „schmutzigen“ Bereich freilich an manchen Positionen nur mittels spezieller Gesichtsmasken, die vor dem bei der Öffnung bestimmter Körperteile herausspritzenden Blut schützen sollen, bewerkstelligt werden können.

    Aus Befragungen von Schlachthofarbeitern weiß man, wer die zentrale Figur in der Sozialpsychologie des Schlachthofes ist: der Bolzenschussbetätiger, der „knocker“. Befragt, wer denn nun die Tiere töte, wird auf ihn verwiesen, der Gesamtprozess wird nicht als ein arbeitsteiliges Tötungsgeschehen konstruiert, an dem man selbst beteiligt ist, sondern als ein arbeitsteiliges Geschehen mit nur einer Töterposition. Zur Mythologisierung dieser Figur, auf die man alle Verantwortungs- und Schuldgefühle projiziert, die es offensichtlich trotz aller Routinisierung gibt, tragen auch kursierende Erzählungen bei, die von psychischen Problemen und Schlaflosigkeit handeln: „Länger als drei Monate hält das niemand durch“ ist ein gängiger Spruch.                

     

    Siegfried Giedion hat in seinem monumentalen, erstmals 1948 publizierten Werk über die „Herrschaft der Mechanisierung“ auch der Geschichte des modernen Schlachthofs ein Kapitel gewidmet, in dem er sich am Schluss an einige mögliche Auswirkungen dieses mechanisierten und rationalisierten Tötungsgeschehens auf die Psyche des modernen Menschen herantastet und dabei auch die Frage nach Beziehungen zwischen der rationalisierten Massentötung von Tieren im Schlachthof und der rationalisierten Massentötung von Menschen in den Vernichtungslagern des zweiten Weltkriegs aufwirft. Allerdings begibt man sich dabei in einen Bereich der Spekulation, in dem große Vorsicht geboten ist. Immerhin weiß, wer sich mit der Organisation des Vernichtungsprozesses in diesen Lagern beschäftigt hat, dass gewisse Analogien nicht von der Hand zu weisen sind. Aufschlussreich besonders in sozialpsychologischer Hinsicht ist das lange Interview, das die kürzlich verstorbene Journalistin Gitta Sereny 1970 mit Alfred Stangl, dem Kommandant des Vernichtungslagers Treblinka, im Gefängnis geführt hat. Auf die Frage, wie er die Menschen wahrgenommen habe, die in seinem Lager kurz danach getötet wurden, sucht er, stockend, nach Antworten, wobei dem Leser klar wird, dass er die Menschen nicht als Individuen wahrnahm, sondern nur als Masse, als „Ware“, wie er sich ausdrückt, und er kommt dann, durch einen aufschlussreichen Assoziationsmechanismus getrieben, zu folgender Schilderung: „Jahre später, auf einer Reise nach Brasilien, hielt mein Zug in der Nähe eines Schlachthofs an. Beim Geräusch des Zuges trotteten die Viecher an den Zaun…sie waren dicht vor meinem Abteilfenster …und sie starrten mich durch den Zaun an. Da dachte ich: Schau dir das an; das erinnert dich an Polen; genauso…haben die Leute dort geschaut – gerad’ bevor sie in die Konserverbüchsen gingen …“ Diese Stelle bedürfte einer längeren Interpretation, die hier nicht mehr möglich ist, aber ich wiederhole noch einmal, dass man beim Betreten des Terrains, in das Siegfried Giedions Frage führte, äußerste Vorsicht walten lassen sollte. Siegfried Giedion hat zu wenig berücksichtigt, dass der moderne Schlachthof eine abgeschottete Industrie ist, die sich vor unseren Augen verbirgt. Der Normalmensch weiß ja gar nicht, was dort geschieht. Deshalb sei zum Schluss in einem Gedankenexperiment die Frage gestellt, ob sich die Errichtung gläserner Schlachthöfe in unseren Innenstadtzentren auf unsere Einstellung zum Fleischverzehr und Massenschlachten praktisch auswirken würde. Vegetarier würden behaupten, dass dann jeder zu ihrer Ernährungsweise übergehen würde. Das ist meiner Meinung nach aber eine große Illusion. Dabei wird der Gewöhnungseffekt vergessen, den der gläserne Schlachthof bewirken würde, die Herabsenkung unserer Hemmungen angesichts des industrialisierten Massentötens, die Abstumpfung unserer Vorstellungskraft: Der gläserne  Schlachthof würde gerade befördern, was er verhindern soll. Unsere Empörung bei Schilderungen aus dem Innenleben des Schlachthofs wird vor allem deswegen angereizt, weil sie Aufdeckungen eines Unbekannten sind. So ist die verborgene Existenz des Schlachthofs die zentrale Voraussetzung für den Wunsch nach seiner Nicht-Existenz.                   

     

Kommentare
miafri
Vielen Dank für diesen wichtigen Beitrag! Es ist tatsächlich schlimm, wie wenig wir heute zu wissen bereit sind… Habituelle Gewalt unterscheidet sich aber, meiner Meinung nach, nur graduell von Sadismus…
Eine, noch einmal, sehr schmerzhafte, doch äusserst wichtige Sendung. Die mich grade noch einmal dem Nachbarsbauern und dem Metzger gratulieren lässt, die vor wenigen Monaten die kompliziert-bürokratisch e Erlaubnis zur Hofschlachtung auf sich nahmen. Herzlichen Dank!

DerDax
Sehr gut! Danke.

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